Ich habe Julia im Frühjahr dieses Jahres in Heidelberg kennengelernt. Wir saßen eine Woche lang nebeneinander in einem Seminarsaal. Und es ging um Trauer, Tod, Sterben und Beisetzungen – und die richtigen Worte dafür. Es war die Ausbildung zur Trauerrednerin. Für mich war es eine unglaublich intensive Woche und ich war richtig froh, so eine nette Frau neben mir zu haben. Auch wenn sie viiiiiiel jünger ist als ich, nämlich 36 (!), haben wir uns gut verstanden. Und weil sie nett ist und klug und eine richtig gute Trauerrednerin, habe ich ihr ein paar Fragen gestellt.
Julia, wie bist du darauf gekommen, Trauerrednerin zu werden?
Vor einiger Zeit habe ich junge Bestatter:innen auf Social Media entdeckt. Sie sprechen ganz offen über ihre Arbeit und ich fand das sehr interessant. Ich setze mich ganz gerne mit gesellschaftlichen Tabuthemen auseinander. Und ich habe gemerkt, dass ich keine Berührungsängste mit dem Thema Tod und Trauer habe.
Als dann vor einiger Zeit ein naher Angehöriger von mir starb, konnte ich mich nicht verabschieden, was sehr hart war. Das war für mich ein weiterer Anlass, mich mit den Themen Tod und Sterben auseinanderzusetzen.
Aber gleich den Job wechseln?
Kurz vor Weihnachten musste ich aus wirtschaftlichen Gründen meinen damaligen Arbeitgeber verlassen – was ziemlich unerwartet kam. Also habe ich überlegt: Mach ich jetzt einfach weiter so, such mir eine ähnliche Stelle, oder ist das vielleicht eine Chance, nochmal einen ganz neuen Weg einzuschlagen? Dazu hatte ich richtig Lust und das Thema Tod war mir zu der Zeit ja präsent, also habe ich mich für eine Ausbildung als freie Trauerrednerin entschieden.
Die Ausbildung hast Du sehr erfolgreich abgeschlossen, wie geht es weiter?
Als Trauerrednerin bin ich in der Gründungsphase. Meine Website ist fertig und ich starte jetzt. Dazu bin ich nach wie vor freiberufliche Trainerin für agiles und digitales Lernen. Dieses Standbein behalte ich, weil mein Herz auch immer noch an guter zeitgemäßer Bildung hängt.
Hast Du Angst vor deiner ersten Trauerrede?
Na klar! Aber als Pädagogin kenne ich das Reden vor Menschen und weiß, dass ich das trotz des Lampenfiebers gut mache. Respekt habe ich vor dem korrekten Ablauf, also dass ich in der Zeremonie nichts durcheinanderbringe und die Abstimmung mit dem Bestatter oder der Bestatterin klappt. Aber auch diese Sorge ist normal und hält mich nicht ab.
Hast Du denn eigene Erfahrung mit Trauer-Traditionen?
Noch sehr wenig. Ich stamme zwar aus einer evangelisch-protestantischen Familie, aber bin nicht religiös erzogen. Ich habe mich lange als Atheistin bezeichnet. Inzwischen bin ich etwas milder geworden und sehe mich als Agnostikerin. Meine eigene Spiritualität entdecke ich erst seit ein paar Jahren.
Ich habe deutlich gemerkt, dass mir Rituale für die Lebensübergänge oder -ereignisse fehlen. Für Geburt, Heirat, Tod, aber auch den Jahreslauf gibt es in den Religionen wunderschöne Zeremonien, Gebete und Rituale.
In der Beschäftigung mit dem Thema lerne ich jetzt Rituale kennen, die auch ohne Religion funktionieren. Ich erarbeite mir das selber und gestalte mir sozusagen meine eigene Trauerkultur.
Ich kann mir vorstellen, dass es vielen Menschen so geht. Sie können mit den christlichen Traditionen nicht so viel anfangen. Aber sie können entdecken, welches weltliche Ritual ihnen gut tut und dass es in der eigenen Trauer hilft. Das ist meine Mission: Menschen auf den ersten Metern ihres Trauerwegs begleiten und ihnen eine wunderschöne Abschiedszeremonie schenken.
Wie ist denn dein Verhältnis zum eigenen Tod?
Wenn ich an meinen eigenen Tod denke, kommt mir sofort das Gedicht von Mascha Kaléko in den Sinn: „Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tod derer, die mir nah sind.“
Wirklich Angst habe ich nicht vor dem Tod, trotzdem hänge ich sehr am Leben.
Welche Tür sich mit dem Tod für uns öffnet, davon habe ich keine genaue Vorstellung. Manchmal denke ich ganz rational, es ist wie einschlafen und nicht mehr aufwachen.
Dann wieder stehe ich vor dem Grab eines geliebten Menschen und spüre in mir die Hoffnung, dass wir uns an einem besseren Ort wiedersehen, dass mit dem Tod also nicht alles einfach vorbei ist. Ich hoffe, dass ich positiv überrascht werde!
Julia wurde 1986 am Schwarzwaldrand geboren. Nach ihrem kulturwissenschaftlichen Studium in Heidelberg hat sie viele Jahre in der beruflichen Aus- und Weiterbildung gearbeitet. Das Interesse für Abschied und Trauer wurde bei ihr durch persönliche Verluste geweckt. Schließlich entstand der Wunsch, Trauerrednerin zu werden und weltliche Abschiedszeremonien zu gestalten. Neben ihrer Tätigkeit als freie Trauerrednerin in der Region Karlsruhe ist sie auch als Dozentin für digitales Lernen aktiv.
Und wenn sie nicht an einer Rede tüftelt oder einen neuen Workshop konzipiert, findet man sie wahrscheinlich auf einem Wanderweg im Schwarzwald.
Kontakt: https://juliareiche.de/ Wenn es interessiert, hier die Links zum Thema: Sarggeschichten Thanatos Bestattungen Trauerhafen