Manchmal fühle ich mich wie eine Handwerkerin, denn ich arbeite an den Trauerreden mit den unterschiedlichsten Werkzeugen: Ich hole diese eine Trauerrede zunächst in grober Form aus einem großen Fundus aus Worten und Gedanken, schleife geduldig Ecken und Kanten, füge kleine oder große Farbpunkte hinzu und am Ende hat sie eine genau passende Gestalt.
Aber bevor es soweit ist, begebe ich mich – gemeinsam mit den An- und Zugehörigen – auf die Suche. Im Trauergespräch bekomme ich nicht nur die notwendigen Lebensereignisse der oder des Verstorbenen. Ich erfahre, was für einen Menschen wir verabschieden, wie die Trauernden mit dem Verlust umgehen und welchen Trost sie sich wünschen.
Mit all dem, was mir die Familien erzählen – und manchmal auch mit dem, was sie nicht erzählen – kann ich beginnen, diese eine Trauerrede zu schreiben.
Das Leben zählt
Das gelebte Leben mit all seinen großen und kleinen Höhepunkten, getroffenen Entscheidungen, vielleicht gefüllt mit Liebe, Freundschaft und Freude, wird am Tage der Abschiedszeremonie gefeiert. Zur Trauer um den verstorbenen Menschen kommen somit die Dankbarkeit und der Trost durch schöne Erinnerungen – das macht mich zu einer Lebensrednerin am Tage der Beisetzung. Ist das nicht wunderschön?
Aber auch wenn es am Ende eines Lebens nur noch wenig Liebe gab, oder sogar Bitternis und Sprachlosigkeit, hat auch dieser Mensch eine gute Zeremonie verdient. Trauerreden sind keine Lobhudelei. Also schreibe ich eine Trauerrede voller Respekt und mit Erinnerungsbildern, die vielleicht trösten als auch versöhnen können. Denn auch in solchen Situationen soll der Tag des Abschieds eine gute, angemessene Erinnerung werden.
In der „Werkstatt“ entstehen die Trauerreden
Das ist in meinem Fall ein Zimmerchen mit einem kleinen Schreibtisch, jeder Menge Duftkerzen und einem Hundebett in der Ecke. Hier schreibe ich, recherchiere, telefoniere und manchmal sitze ich auch einfach nur da und schaue aus dem Fenster.
Bei der Arbeit an einer Rede fasse ich alles zusammen, was ich mir aufgeschrieben habe. Oft habe ich schon nach dem Trauergespräch, auf dem Weg nach Hause eine Idee oder eine Ahnung, wie die Rede aussehen könnte.
Ich habe sowohl in meiner Ausbildung bei „Freie Redner“ als auch in der Masterclass von „wer du warst“ wunderbare Techniken gelernt, die mir helfen, aus vielen, oft sehr unterschiedlichen Informationen und Hinweisen eine Art Wort-Bild zu schaffen.
Natürlich habe ich auch – juhuu, ein Vorteil des Älterwerdens – in meinem Leben schon so viel geschrieben, dass mir selten das Wort in der Tastatur stecken bleibt. Auch wenn nicht jeder Wortwitz gelingt…
Und wenn dann nach zwei oder drei Nachmittagen die Rede grob fertig ist, trage ich sie mir selbst laut vor. Dabei merke ich sehr schnell, wo es passt oder nicht. Das „Feilen“ beginnt. Schließlich muss die Rede auch zu meiner Art des Sprechens passen.
Denn: Ich schreibe lediglich Stichworte oder einzelne Sätze auf. Würde ich alles ausformulieren, müsste ich die Rede ablesen und käme schnell ins Stolpern, falls ich die Zeile verliere. Und ich finde, erst das freie Reden macht die Zeremonie lebendig und ehrlich.
Darum können die Angehörigen auch erst nach der Trauerfeier die Rede bekommen. Ich muss sie dann zunächst ausformulieren, auf schönem Papier ausdrucken und ein eine besondere Mappe legen.
Profanes drumherum ist auch wichtig
Das Profane ist zum Beispiel, den Ablauf der Zeremonie mit dem oder der Bestatter:in zu besprechen und die Musikauswahl weiterzugeben oder in eine Playlist zu laden. Wenn ich den Friedhof nicht kenne, fahre ich oft vorher dorthin, damit ich mich nicht vor der Trauerfeier noch verlaufe. So bin ich schon zu manch schönem Friedhofsspaziergang gekommen – das wäre mein Tipp, wenn du mal Langeweile hast.
Manchmal gibt es auch ein Ritual oder kleine Gaben für die Trauergäste: Bunte Steine, für jeden ein Kochrezept der/des Verstorbenen oder kleine Eierlikörfläschchen mit einem letzten Gruß – der Phantasie sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Außer im Fried- oder Ruhewäldern. Das sind die Förster recht streng, was Grabbeigaben betrifft. Aber eine kleines Erinnerungsgeschenk für die Anwesenden ist natürlich auch dort möglich. Aber auch das muss organisiert werden. Dabei helfe ich immer gerne.
Wenn alles vorbereitet ist, drucke die Rede auf meine schön gestalteten DIN A5-Karten, so kann ich mich beim Sprechen frei bewegen und muss keine schwere Mappe in den Händen halten. Sobald ich alle Karten in meine Tasche lege, etwas zu trinken oder Halsbonbons dazu, beginnt der wichtigste Teil meiner Arbeit.
Der Trauer Ausdruck verleihen
Früher wurden in den Trauerreden oft schlicht die Lebensdaten eines Menschen nacherzählt und vielleicht noch ein kleine, persönliche Anmerkung mit eingestreut. So kenne ich es aus Kinder- und Jugendzeiten.
Ich möchte stattdessen von der Einzigartigkeit dieses Lebens erzählen. Ich fasse – stellvertretend für die An- und Zugehrörigen – nicht nur die Trauer und den Verlust in Worte, sondern auch die Dankbarkeit und manchmal auch das Lachen. Eben all das, was nie vergessen werden soll.
Natürlich stehe ich nicht nur neben der Urne oder dem Sarg und halte die Rede. Ich begleite die Familien und Freunde durch die ganze Zeremonie bis zum Grab. Dort spreche ich meist noch ein paar wenige Abschiedsworte, bevor sich jede/r mit Erde und Blumenblättern verabschieden kann.
„Herz und Anker“
So hieß es in der Ausbildung: Als Trauerrednerin fühle ich mit, bin empathisch und respektvoll, aber ich leide nicht. Gleichzeitig ist es meine Aufgabe, die Angehörigen durch diesen schwierigen Prozess zu führen. Nach dem Tod eines geliebten Menschen ist viel zu organisieren und zu bedenken. Für Trauer ist manchmal gar keine Zeit. Das muss oft warten, bis die Beisetzung vorbei ist. Es geht um Termine, um Kosten, um viele Dinge vor, während oder nach der Zeremonie.
Ich bin zwar nur ein Teil davon, aber ich gestalte gemeinsam mit der Familie den Abschluss. Dieser einzigartige Moment kann sehr wichtig für das neue Leben ohne diesen einen Menschen sein. Er soll trösten, aber auch endlich Raum für die Trauer und das Erinnern geben. Ist das gelungen, war es ein guter Abschied.
Und dann geht es weiter
Nach der Trauerfeier, wenn ich meine Rede gehalten und mich von den Angehörigen verabschiedet habe, gehe ich gern noch allein über den Friedhof. In Gedanken bin ich noch bei dem oder der Verstorbenen. Oft schicke ich ihnen einen dankbaren Gruß hinterher.
Wenn ich dann in meiner kleinen Redenwerkstatt wieder angekommen bin, hefte ich die Rede in meinem Ordner ab. Ein paar Tage später schicke ich den Angehörigen noch einen Brief und bedanke mich. Dazu lege ich meine kleinen Erinnerungsimpulse (Ein Beispiel siehst du unten). Ich habe sie mit eigenen Fotos gestaltet und ich hoffe, dass sie den Familien auch wirklich in ihrer Trauer helfen, wenn sie zusammensitzen und einer fragt: „Weißt du noch?“.
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